Wankende Identität

Editorial

Wankende Identität

Was macht die Schweiz aus? – Hoffentlich nicht selbstgenügsamer Nationalstolz.

Der Schweizer Finanzplatz ist schon länger angeschlagen, aber mit dem CS-Crash definitiv kein Grund zum Nationalstolz mehr. Über unsere Neutralität, ein Schweizer Markenzeichen, wird immer heftiger diskutiert, je länger der Krieg gegen die Ukraine dauert. Wasser und Energie sind nicht mehr selbstverständlich verfügbar. Der sichere Boden unserer Schweizer Identität wackelt.

Eine vorübergehende Schwindelattacke wegen ausgebüxten Kristallen im Innenohr hat mir kürzlich ganz konkret gezeigt, wie es sich anfühlt, wenn man den Boden unter den Füssen verliert. Ich verspannte mich, wurde steif und unbeweglich und klammerte mich an alles, was Halt versprach.

In einem Radiogespräch höre ich: «Wir könnten uns in einem höheren Wert als nur in unserer nationalen Gemeinschaft beheimaten», sagt der ehemalige deutsche Bundespräsident Joachim Gauck. «Das allein ist eine etwas überholte Form der Identitätsprägung.» Vielmehr könnten wir uns all jenen zugehörig fühlen, denen die Menschenrechte, Rechtsempfinden, die Werte der vereinten Nationen wichtig sind. «Dann können wir die nationalen Eigenheiten und Prägungen etwas relativieren, die eigene Heimat aber trotzdem lieben.» Mit anderen Worten: Sicherheit mehr im Inneren als im Äusseren finden.

Mit verschiedenen Übungen wurden meine Innenohr-Kristalle – über einige Tage hinweg – wieder an ihren angestammten Ort befördert. Beim unsicheren Gehen versuchte ich immer wieder, mich zu entspannen und mich aus meiner Mitte heraus zu bewegen. Meinen Halt also nicht aussen, sondern innen zu suchen.

Es braucht etwas Übung, aber es funktioniert.

Text: Beatrix Ledergerber