Warum gibt es diesen Tag?

Zum Tag des Judentums

Warum gibt es diesen Tag?

Es irritiert mich, dass die Katholische Kirche in der Schweiz einen «Tag des Judentums» begeht. Bis vor Kurzem wusste ich nicht einmal, dass es diesen Tag gibt. 

Viele Fragen sprudeln in meinem Kopf: Warum gibt es diesen Tag? Warum brauchen die Katholiken einen «Tag des Judentums»? Warum sollte ich als Jude dazu eine Meinung haben? Und doch, was für Gefühle kommen in mir hoch beim Gedanken, dass eine der grössten Glaubensgemeinschaften der Welt einen Tag des Judentums begeht?

Auf der Website der Schweizerischen Bischofskonferenz habe ich Informationen zum «Tag des Judentums» gefunden. Im dortigen Text von 2021 stolpere ich bereits über den ersten Satz: «Das Judentum ist nämlich nicht etwas ‹Äusserliches›, sondern gehört in gewisser Weise zum ‹Inneren› des Christentums, betonte Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in der Synagoge von Rom 1986.» Bei allem aufrichtigen Respekt vor Papst Johannes Paul II. – das muss eine katholische Sichtweise sein. Zumindest ich sehe die jüdische Tradition nicht als einen «inneren Teil» des Christentums. Ich weiss, dass das Christentum innerhalb des Judentums entstanden ist und dass beide Traditionen aus derselben spirituellen Quelle schöpfen. Ebenso ist die hebräische Bibel auch für die christliche Kirche von grosser Bedeutung. Daraus schliesse ich jedoch, dass die beiden Religionen nebeneinander stehen, auf Augenhöhe. Aber nicht, dass das Judentum im Inneren des Christentums wäre. 

Die Notwendigkeit für diesen Tag wird im zweiten Absatz des Artikels erläutert. Daraus verstehe ich, dass der Zweck von diesem «Tag des Judentums» darin besteht, die Katholiken zur Busse zu bewegen,  denn «ein christlicher Antijudaismus hat viel Leiden über das jüdische Volk gebracht». Ich finde es gut, dass diese Erkenntnis in der katholischen Kirche vorhanden ist. Versöhnung kann jedoch nur erreicht werden, wenn sich Täter mit ihren Opfern versöhnen. Die heute lebenden Katholiken haben beispielsweise keinen Anteil an den Kreuzzügen oder der Inquisition. Die heute lebenden Juden, insbesondere hier in der Schweiz, wurden weder von der Kirche noch von Katholiken angegriffen. Meiner Meinung nach wäre es besser, statt Busse zu tun, sich über das aktuelle Judentum in seiner ganzen Vielfalt zu informieren.

Und nun – was ist meine Meinung als Jude zu diesem Tag des Judentums?  Er ist eine innerkatholische Angelegenheit. Es entspricht wahrscheinlich einem Bedürfnis der Kirche, zu der früheren Schuld zu stehen. Schon allein deshalb ist es gut, dass es ihn gibt.

Im letzten Absatz heisst es: «Am Tag des Judentums sind Katholikinnen und Katholiken eingeladen, durch verschiedene Veranstaltungen den Dialog und die Begegnung mit Jüdinnen und Juden zu suchen.» Darauf würde ich sagen: Ihr seid herzlich eingeladen!

Text: Ruven Bar-Ephraim