Jesuskind zwischen Spezialitäten oder Uhren

Im züripiet dihei

Jesuskind zwischen Spezialitäten oder Uhren

In vielen Schaufenstern von Uster sind im Advent Krippen aus aller Welt zu bewundern – verbunden durch einen Weg von der katholischen zur reformierten Kirche. 

Noch ist es November, Herbstblätter knistern unter unseren Schritten, es ist neblig und kühl. Mit Mützen und Handschuhen starten wir bei der Katholischen Kirche und machen uns auf, quer durch Uster, entlang dem Krippenweg. «Ab dem ersten Advent werden dieses Jahr 35 Krippen in Schaufenstern ausgestellt», erklärt Matthias Schultz vom Krippenweg-Team stolz. «Vor drei Jahren haben wir mit 15 Krippen begonnen, letztes Jahr waren es schon 29.» Es ist eine Erfolgsgeschichte – und passt ungewollt perfekt in die Corona-Zeit. «Die Krippen bleiben bis zum 20. Dezember ausgestellt. Nachher kommen sie zurück in die Wohnzimmer zu den Familien, welche sie zur Verfügung gestellt haben», sagt Sabina Bezzola. Die reformierte Kirchenpflegerin ist seit letztem Jahr mit im ökumenischen Team, das bei Privaten nach Krippen und in Geschäften nach Schaufenstern fragt und dann das eine mit dem anderen verbindet: «Ich finde es erstaunlich, wie viele Geschäftsinhaberinnen und -inhaber sogar eigene Krippen ausstellen möchten, wie gut die Idee bei ihnen ankommt», sagt Bezzola. Wir kommen beim
Velogeschäft vorbei, wo bald zwischen den Zweirädern eine Krippe stehen wird. «Es sind vor allem kleinere Geschäfte, die manchmal noch beim Inhaber oder Mitarbeitenden nachfragen, aber in der Regel gerne mitmachen. Geschäfte von grossen Ketten haben vorgegebene Schaufensterkonzepte und können nicht einfach eine Krippe hineinstellen», weiss Schultz.

Die Idee für diesen Krippenweg sei beim Erarbeiten des neuen Pfarrei-Leitbildes entstanden, sagt Matthias Schultz, während wir vor der Bahnabschrankung warten und ein Zug vorüberbraust.  Darin steht unter anderem: «Wir schaffen Gelegenheiten für Menschen, einander zu begegnen. Als Pfarrei bieten wir einen Ort für Menschen und ihre Suche nach Sinn, nach Antworten auf Lebensfragen, nach Modellen für ein Leben aus der Kraft des Glaubens.» In der Spurgruppe, die  nach Projekten zum neuen Leitbild suchte, engagierte sich Dorothea Schultz. «So kam in unserer Familie die Idee auf, einen Krippenweg zu gestalten. Ich kenne das aus meiner Heimatstadt Jena», sagt der Chemiker Matthias Schultz. «Die kirchliche Situation ist anders, in Jena ist ostdeutsche Diaspora, hier eine volkskirchlich geprägte Gegend, auch wenn schon viele Leute kirchenfern sind.» Sabina Bezzola ergänzt: «Mit diesen Krippen möchten wir in der geschäftigen Adventszeit an die Wurzeln des Weihnachtsfestes erinnern.» Dreimal jährlich trifft sich das Team für die ehrenamtliche Organisation des Krippenweges. Im Januar werden alle Ladeninhaber, Krippenspenderinnen, Sponsoren und Mit-Engagierten  zu einem Apero eingeladen, wo sich oft neue und gute Kontakte ergeben, wie Schultz erzählt.

Der Krippenweg bringe immer wieder Leute zusammen: «Eine Person der reformierten Kirchgemeinde sammelt Miniaturkrippen. Wir dachten, das würde doch gut in den Uhrenladen passen, und brachten letztes Jahr das Besitzerehepaar mit ihr in Kontakt. Die drei trafen sich zum Kaffee, von dem die Inhaber mit einer Handvoll Miniaturkrippen zurückkehrten. Als ich dieses Jahr anfragte, ob sie wieder mitmachen, erklärte die Krippenbesitzerin, sie hätten sich bereits wieder verabredet. So werden hier bald wieder zwischen Uhren und Schmuck die kleinen Krippen zu sehen sein.»

Weiter führt der Krippenweg vorbei am Coiffeurgeschäft, an dem asiatischen Restaurant («Da wo jetzt die Weinflaschen stehen, kommt die Krippe hin»), dem Kleiderladen und der Bäckerei. «Hier stand letztes Jahr eine Krippe, die als Filzprojekt von der Gemeinschaft Arche in Bethlehem gestaltet wurde. Dort leben Menschen mit und ohne Behinderung zusammen», erinnert sich Schultz. Solche Informationen stehen jeweils neben den Krippen, sodass die mit ihnen verbundenen Geschichten sichtbar werden. Auch die Krippe im italienischen Spezialitätenladen hat ihre Geschichte: Dorothea Schultz fiel auf, dass das Jesuskind fehlte. Als sie im Geschäft nachfragte, holte die Inhaberin das sorgsam verpackte Jesuskind aus dem Regal und beteuerte, dass ihm nichts geschehen sei. «Aber bei uns kommt das Jesuskind erst am Heiligen Abend!» Das wurde dann auf der danebenstehenden Infotafel ergänzt.

Mit jeder Weihnachtskrippe verbinden sich Emotionen, Erinnerungen an die Kindheit und Familie. «Als Kindergartenkind musste ich wegen Masern zu Hause in Quarantäne», erinnert sich Sabina Bezzola. Da habe ihre Kindergartenklasse vor dem Haus Adventslieder gesungen und ihr eine kleine Krippe gebracht, die sie an den Christbaum hängen konnte. «Das hat sich mir tief eingeprägt.» Auch in der Familie Schultz sind Krippen wichtig: «Wir haben uns die Krippenfiguren zur Hochzeit schenken lassen und stellen sie nun jedes Jahr auf.»

Steil geht es die Treppen hoch zur reformierten Kirche. Rechts vom Eingang wird dort bald eine Schwarzenberger-Krippe aufgebaut, die von einer Frauengruppe vor Jahren selbst hergestellt wurde. «Die Frauen haben sich jedes Jahr beim Aufbau dieser Krippe engagiert», erzählt Sabin Bezzola. «Dank dem Krippenweg und der neu im Advent offenen Kirche ist dieser grosse Einsatz für eine grössere Anzahl Menschen sichtbar geworden als in den Jahren zuvor.»

«Für manche Leute ist die eigene Krippe so persönlich, dass sie sie nicht ausstellen möchten», sagt Schultz. Andere erzählten gerne, was sie alles mit der Krippe verbinden. «Es ist auf jeden Fall eine Kultur, die zu bewahren sich lohnt!», ist er überzeugt. Sabina Bezzola schliesst: «Wenn wir damit ein wenig in die Gesellschaft ausstrahlen können, umso besser.»

Text: Beatrix Ledergerber