Weltgebetstag im Konflikt

Hintergrund

Weltgebetstag im Konflikt

«Wir hören einander zu, urteilen nicht, ergreifen nicht Partei.» 
Dieser Grundsatz des Weltgebetstags wird dieses Jahr bei der Liturgie 
aus Palästina auf eine harte Probe gestellt. 

Was oft als lokaler ökumenischer Gebetsanlass wahrgenommen wird, ist eigentlich ein weltweiter Moment der Aufmerksamkeit auf ein Land – konkret auf eine Gruppe von Frauen, die ihr Land vorstellen und dem weltweiten Gebet anheimstellen. 

Bereits 2017 haben die Delegierten der internationalen Weltgebetstagskonferenz entschieden, dass die Liturgie für 2024 den Frauen aus Palästina anvertraut wird. Achtzehn christliche Frauen aus sechs Kirchen machten sich an die Arbeit. «Als christliche Minderheit war allein das schon ein mutiger Schritt, sich mit dieser Liturgie öffentlich zu exponieren», sagt Vroni Peterhans, Präsidentin des Weltgebetstagskomitees Schweiz. «Im Herbst 2022 kamen ihre Texte bei uns an, und wir bereiteten das Material für die Schweiz vor.» Als dieses im Herbst 2023 den lokalen Vorbereitungsgruppen weitergeleitet wurde, griff die Terrororganisation Hamas Israel an. Heute herrscht Krieg im Gaza-Streifen. 

Damit wurde die Liturgie der Frauen aus Palästina zum öffentlich und kontrovers diskutierten Thema. In Deutschland hat das Weltgebetstagskomitee die ursprünglichen Texte zurückgezogen und einen an einigen Stellen veränderten Neudruck veranlasst. Diskutiert wurde unter anderem das Wort Nakba. Mit dem arabischen Wort Nakba, auf Deutsch Katastrophe oder Unglück, bezeichnen die Palästinenser die Flucht und Vertreibung von etwa 700 000 arabischen Palästinensern aus dem früheren britischen Mandatsgebiet Palästina im Jahr 1948 – dem Jahr der Staatsgründung Israels. 

Die Verwendung des Wortes ist politisch stark aufgeladen. Sie wird im einen Extrem als geplante ethnische Säuberung interpretiert. Und im anderen Extrem als ein freiwilliger, von arabischer Seite provozierter Wegzug. Die Geschichtswissenschaft, angeführt von israelischen Historikern, hat beide Bilder korrigiert und differenziert.

Vroni Peterhans ist trotz dieser Auseinandersetzung der Überzeugung: «Dieses Erlebnis ist noch heute in den Menschen gegenwärtig. Es muss benannt werden können. Unsere Weltgebetstagsfrauen aus Palästina ziehen daraus aber nicht die Schlussfolgerung, dass Israel kein Existenzrecht hat und Gewalt angewendet werden soll. Wir kennen die palästinensischen Komiteefrauen und wissen, dass sie sich seit Jahren für ein friedliches und gewaltfreies Miteinander einsetzen.» 

Das Weltgebetstagskomitee der Schweiz war sich nach ausführlicher Diskussion einig, dass die Gottesdienst-Unterlagen unverändert übernommen werden können. «Es ist uns aber besonders wichtig, die Basisgruppen während der ganzen Vorbereitungszeit eng zu begleiten», betont Vroni Peterhans. Dies geschieht mit erklärenden und einordnenden Mails, wo nötig Gesprächen, und zusätzlich mit öffentlichen Statements. So schrieben sie am 10. Oktober: «Wir sind erschüttert über den Terror der Hamas und entsetzt über die Brutalität und Gewalt, welche in den vergangenen Tagen im Nahen Osten eskaliert sind.» Béatrice Battaglia, Projektverantwortliche beim Weltgebetstag Schweiz, ergänzt: «Umso wichtiger ist jetzt unsere Solidarität mit den notleidenden Menschen, sowohl im Gebet um Frieden und Versöhnung wie auch mit der Unterstützung der konkreten Weltgebetstagsprojekte.»

Die Kollekte des Weltgebetstages 2024 unterstützt in Palästina sechs Projekte. «Die drei Projekte im Westjordanland laufen unter erschwerten Bedingungen wie geplant», erklärt Béatrice Battaglia. «Die drei Projekte im Gazastreifen hat der Krieg lahmgelegt. Unsere Projektpartnerinnen HEKS, Medico International Schweiz und Frieda (ehemals cfd) sind alle weiterhin im Gazastreifen tätig und leisten zurzeit Nothilfe.» Sobald wie möglich sollen diese Projekte den Wiederaufbau unterstützen und mithelfen, Zukunftsperspektiven aufzubauen. «Die drei Hilfswerke sind vom Bund überprüft worden», betont Béatrice Battaglia. 

Der Titel des diesjährigen Weltgebetes lautet «… durch das Band des Friedens». Dass gerade jetzt weltweit am 1. März für Frieden in Israel und Palästina gebetet wird, sehen Vroni Peterhans und Béatrice Battaglia für notwendiger denn je. Und sie hoffen, dass überall, wo das Weltgebetstagsmotto «informiert beten, betend handeln» umgesetzt wird, auch das Prinzip «zuhören, nicht urteilen, nicht Partei ergreifen» beherzigt wird.

Neve Shalom / Wahat al-Salam:
Oase des Friedens

Trotz Krieg und Terror leben und arbeiten jüdische und palästinensische Familien ­zusammen. Ihre Friedensschulen wirken in die ganze Region. 

«Unsere binationale, gemischt-religiöse, zweisprachige Primarschule und den Kindergarten besuchen 230 Kinder aus der ganzen Umgebung», sagt Gabriel Oser, Präsident des Vereins «Schweizer Freundinnen und Freunde von Neve Shalom / Wahat al-Salam». Nach dem Schock des Terror-Angriffs der Hamas und dem Beginn des Krieges in Gaza blieben die Kinder zuerst zuhause. «Aber schon nach zwei Wochen wurde der Betrieb wieder aufgenommen und praktisch alle Schülerinnen und Schüler sind wieder da. Das ist ein grosser Vertrauensbeweis», sagt Oser.  

Auch die Friedensschule habe all ihre Kurse wieder aufgenommen. Hier werden junge jüdische und palästinensische Erwachsene aus ganz Israel in Konfliktmanagement und Dialog ausgebildet. In berufsspezifischen Projekten arbeiten sie gemeinsam an zukunftsweisenden Lösungen für ihr Land. «Zum Beispiel in der Städteplanung: was immer projektiert wird, berücksichtigt, dass es zwei Mentalitäten, Kulturen und Philosophien gibt», erklärt Gabriel Oser. Es gebe auch Kurse für Psychologiestudierende, Lehrpersonen und im Gesundheitswesen Tätige, um in ihrer Arbeit diese Unterschiede zu berücksichtigen und so für den Frieden zu wirken. 

«Sehr gefragt sind gerade jetzt die Mediationsangebote des Friedensdorfes», unterstreicht Oser. «Ein Fünftel der israelischen Bevölkerung sind Palästinenserinnen und Palästinenser. Praktisch alle öffentlichen Betriebe sind ohne ihre Arbeit undenkbar. Nach Ausbruch des Krieges ist es für viele – von beiden Seiten – sehr schwierig, zusammenzuarbeiten.» Daher kämen nun viele Anfragen für Mediationen in diesen ganz konkreten Arbeitsbereichen. 

Das hebräische Neve Shalom und das arabische Wahat al--Salam heissen übersetzt «Oase des Friedens». Das steht für das Dorf des Friedens, in dem sich jüdische und palästinensische Familien, Moslems und Christen Land, Macht, Alltag und Administration teilen. Sie zeigen damit täglich, dass auch im Nahen Osten ein friedliches Zusammenleben möglich und erstrebenswert ist.

Das Dorf wurde 1972 von Bruno Hussar gegründet. Der in Ägypten geborene Jude konvertierte mit 18 Jahren zum Katholizismus, wurde Dominikanerpater und verband so die jüdische, moslemische und christliche Identität in sich. 

Heute leben 70 Familien im Dorf. Der Zuzug von weiteren 20 Familien wird aktuell – soweit es die Verhältnisse erlauben, vorbereitet. Zum Dorf gehört nebst der Primar- und Friedensschule auch das pluralistische spirituelle Zentrum, das einen Rahmen bildet für das Zusammentreffen der Kulturen, für Studium und Reflexion. Hier gibt es auch einen Ort der Stille zum Nachdenken und Beten.

Text: Beatrix Ledergerber