Ich nehme mir Zeit für …

Gott und die Welt

Ich nehme mir Zeit für …

Alle hoffen darauf, dass die Zeit zwischen den Jahren auch eine Zeit der Musse wird. Wir liefern dazu ein paar Ideen.

Der Sihl entlang

Eine einfache Wanderung führt in etwa drei Stunden von Sihlbrugg zum Sihlsprung und wieder retour. Der ebene Weg erlaubt den Gedanken, sich treiben zu lassen, und den Beinen, fröhlich vorwärtszulaufen. Es geht durch kleine Schluchten, über Brücken und durch Tunnels, die Nagelfluh-Felsen – für Kinder gut zum -Klettern – stehen malerisch in der Landschaft. Das Moos, das braune Wasser, alte Bäume ringsherum – es ist eine mystische Gegend, still allzumal, weil nicht überlaufen. Die Wanderung passt gut in die manchmal feuchten Tage zwischen den Jahren, weil sie die Stille, vielleicht die Leere, dann wieder das grosse Geborgensein im Inneren äusserlich verstärkt und in der Natur widerspiegelt. Das Restaurant Sihlmatt, das wunderbar frische Forellen anbietet, macht zu dieser Jahreszeit leider Pause. Ein Grund zur Vorfreude auf den Sommer.

Veronika Jehle


Kino unter Leuten

Seit der Pandemie hat das richtige Kino gegenüber dem Pantoffelkino einen schweren Stand. Dabei hat es doch ein paar überzeugende Argumente: Die Vorführqualität, der dafür geschaffene Ort und das Publikum (selbst wenn es ab und zu auch nerven kann).

Das Kino gehört wieder unter die Leute gebracht und deshalb nehme ich mir einen Kinobesuch zwischen den Jahren vor. Vielleicht -gönne ich mir einen der wunderbaren Klassiker im filmpodium: «Fahrraddiebe», «Casablanca», «Rashomon» … das Programm ist randvoll. Oder ich besuche Filme aus dem aktuellen Kinoprogramm, die auf meiner Liste stehen: «Living Bach», «Le Théorème de Marguerite» oder «Joan Baez – I Am a Noise».

Aber es geht mir nicht ums Abhaken. Wenn ich nur einen Film geniesse, am liebsten mit einem lieben Menschen zusammen und mit viel Zeit für das kulinarische Begleitprogramm, dann werde ich sehr zufrieden sein.

Thomas Binotto

(Bild: «Le Théorème de Marguerite», TS-Productions)


Briefe schreiben

Finde ich handgeschriebene Briefe in einem schönen Couvert in meinem Briefkasten, freue ich mich immer. Ebenso gerne schicke ich lieben Bekannten einen solchen persönlichen Gruss, mit Feder auf Papier geschrieben. Nur muss ich gestehen: ich tu es höchst selten. Während eine E-Mail oder Smartphone-Nachricht schnell geschrieben ist (und leider dann meist auch fehlerhaft), brauche ich für einen Brief innerlich und äusserlich Zeit und Raum.

Die Zeit «zwischen den Jahren» bietet mir diesen Raum. Ich bin zuhause und habe Tage vor mir, in denen meine Agenda wunderbar leer ist. Meine Weihnachtsbriefe schreibe ich deshalb meist erst nach Weihnachten. Auch für Trauerkarten finde ich oft erst in solchen ruhigen Momenten Worte – auch wenn die Todesanzeige schon lange vorher gekommen ist. In den stillen Tagen zwischen den Festen rund um Weihnachten und Neujahr bin ich ganz bei mir – und erst dann so richtig verbunden mit den Menschen, die mir wichtig sind und denen ich es auch ausdrücken möchte.

Beatrix Ledergerber-Baumer


Musse im Museum

Die meisten Museen bedeuten für mich Stress: Viel zu viele Objekte mit viel zu viel Information. Meistens bin ich schon müde, wenn ich die Übersichtstafel gelesen habe. Mit dem «Museum am Römerholz» befinde ich mich seit meinem ersten Besuch in einträchtiger Harmonie. Die Zahl der Gemälde ist überschaubar – deren Qualität dafür hochkarätig. Noch nie hat mir der Publikumsandrang die Luft und die Sicht genommen. Und so empfinde ich stets das wohlige Gefühl, dieses Museum sei grad nur für mich da – meine Privatgalerie auf Zeit.

Thomas Binotto


Zürich von unten

Wie von Geisterhand öffnet sich ein Schacht und gibt eine Treppe frei, die unter die Oberfläche führt: in den Lindenhof-Keller, wo sich Mauerreste des Römerkastells und der Königspfalz betrachten lassen. Der Ort ist einer von elf «archäologischen Fenstern» in der Zürcher Altstadt, und die «Geisterhand» hatte einen Schlüssel dabei: Wer nämlich zu Öffnungszeiten ins Stadthaus (Stadthausquai 17) geht, kann gegen Vorlage eines amtlichen Ausweises einen Schlüssel ausleihen, mit dem sich verborgene Orte in der Zürcher Innenstadt aufschliessen lassen. Besonders eindrucksvoll: Der Ehgraben zwischen Schifflände 30 und 32, ein maximal schmales Gässchen, das im Mittelalter der Abwasser- und Abfallentsorgung diente. Der Schlüssel darf für bis zu drei Tage mitgenommen werden. So ergibt sich eine Entdeckungsreise im eigenen Tempo, mit genug Zeit zum Verweilen und Pausen machen, geeignet für entdeckungsfreudige jeglichen Alters.

Veronika Jehle