Anno Domini 1077: Im Kriechgang

Kirchengeschichte kompakt

Anno Domini 1077: Im Kriechgang

Das ganze Mittelalter hindurch ein Gezerre um die Macht. Wer herrscht nun über das Abendland? Die Fürsten der Welt oder die Fürsten der Kirche?

Wer ist die Nummer 1? – Der Kaiser oder der Papst? – Für Papst Gregor VII. ist das keine Frage: Natürlich hat sich die weltliche Macht ihm in allen Dingen zu fügen, die er als strittig betrachtet. König Heinrich IV. (1056 – 1106) sieht das ebenso unbeirrbar ganz anders. Konkret geht es um die Frage, wer über die Besetzung des Bischofstuhls in Mailand das letzte Wort haben soll.

Der Papst kämpft mit harten Bandagen und exkommuniziert den widerständigen König. Die Folgen für Heinrich IV. sind gravierend, weil damit niemand mehr an den Treueschwur gebunden ist, den er ihm einst geleistet hat.

Im Winter 1077 bleibt Heinrich nichts anderes mehr übrig: Er muss als Bittsteller nach Canossa reisen, wo der Papst gerade logiert. Der Legende nach steht der König drei Tage lang barfuss im Schnee, bis der Papst die Exkommunikation aufhebt. Was für eine Schmach für den 26-jährigen. Dieser «Gang nach Canossa» wird sprichwörtlich für alle, die in einem Machtstreit klein beigeben.

Friede bricht damit allerdings nicht aus. Die Fürsten rebellieren weiter gegen Heinrich, der die entscheidende Schlacht in Thüringen gar verliert. Und dennoch die Oberhand gewinnt, weil sein Gegenspieler einer Verletzung erliegt, die er sich im Kampf zugezogen hat.

Heinrich geht zielstrebig nach Italien und fordert den Papst erneut heraus. Er jagt Gregor VII. aus dem Amt und zahlt es ihm mit gleicher Münze heim: Heinrich exkommuniziert den Papst und lässt ein Kirchenoberhaupt 
nach seinem Gusto einsetzen. Dieser Clemens III., so heisst der Gegenpapst, krönt Heinrich zum Kaiser.

Ruhe finden damit weder Reich noch Kirche. Bis zum Tod Clemens III. beanspruchen mehrere Päpste gleichzeitig die Kirchenherrschaft. Und auch Heinrich bringt seine Fürsten nie mehr wirklich unter Kontrolle. 1106 stirbt er in Lüttich. Abermals gebannt und vom Kaiserthron vertrieben.

Text: Thomas Binotto