Gezeichneter Dokumentarfilm

Film

Gezeichneter Dokumentarfilm

Der Dokumentarfilm «Flee» kann dem Schicksal eines Menschen, der fliehen musste, sehr nahekommen: weil er animiert ist.

Amin ist als Kind aus Afghanistan geflüchtet und lebt heute in Dänemark. Bevor er seinen Partner heiraten und ein neues Lebenskapitel anfangen kann, muss Amin mit der Vergangenheit abschliessen. Eindringlich erzählt der dänisch-französische Filmemacher Jonas Poher Rasmussen in seinem animierten Dokumentarfilm «Flee» eine wahre Migrationsgeschichte.

Zum ersten Mal bricht darin der 36-jährige Amin sein Schweigen. Er ist ein afghanischer Flüchtling, der jetzt mit seinem Freund in Dänemark lebt. Seine Kindheit in den 80er-Jahren verbrachte er in seiner kriegsgebeutelten Heimat, bis ihm schliesslich mit seiner Mutter, dem Bruder und den Schwestern die Flucht nach Russland gelang. Dänemark kann er durch einige Wirren hindurch nur allein erreichen. Immer wieder entlang seines Weges macht er traumatische Erfahrungen. 

Wie definiert man Zuhause? Für Amin ist das Zuhause ein Ort, an dem er bleiben kann. Er hat lange gebraucht, bevor er sich physisch, aber vor allem geistig an einem Ort aufgehoben fühlen konnte. 

Erinnerungen an eine afghanische Kindheit

Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit. Rasmussen führte dazu eine lange Reihe intimer Interviews mit «Amin Nawabi». Der Name ist ein Pseudonym. Die reale Person dahinter kennt Rasmussen seit der Mittelschule. Bis dahin hatte «Amin» nie über seine Vergangenheit gesprochen. Seine Erinnerungen sind lebendig und voller Details, die sich wunderbar auf die Leinwand übertragen lassen: das Drachensteigenlassen über den Dächern von Kabul, das sehnsuchtsvolle Betrachten von Postern mit Schauspieler Jean-Claude Van Damme; der stoische Mut seines Vaters gegen die Mudschaheddin-Kämpfer.

Im Schutz der Animation

Die Szenen sind in schnörkellosen 2D-Animationen dargestellt, deren Klarheit einer eher abstrakten Darstellung weicht, wenn Amin sich an die Schrecken erinnert, die er und seine Familie in Afghanistan erlebten. «Flee» ist eine erschütternde Geschichte über Verlust, Schuldgefühle und das ständige Leben in Angst. Aber auch über Widerstandskraft und Befreiung, denn ohne die kunstvolle Form der Animation, die ihm Anonymität bietet, hätte sich der Protagonist vielleicht nie mit seinen Gespenstern konfrontiert.

Der Film wurde als erste Kino-Produktion überhaupt für einen Oscar als bester internationaler Film und gleichzeitig für je einen Oscar als bester Dokumentarfilm und bester Animationsfilm nominiert.

Text: Sarah Stutte  kath.ch / vej