Expertise im Kulturwandel

Editorial

Expertise im Kulturwandel

Am 24. Juli wird in der katholischen Kirche zum zweiten Mal ein Welttag der Grosseltern gefeiert. Braucht es einen solchen Gedenktag?

In der katholischen Kirche gibt es Gedenktage ohne Ende. Und was die Kirche mit dem Heiligenkalender vorgemacht hat, führt die Zivilgesellschaft mit zahllosen Aktionstagen für dies und das weiter. Es gibt davon so viele, dass ich sie zunehmend achtlos an mir vorbeiziehen lasse.

Bis eine Leserin mich anruft und mir den Floh ins Ohr setzt, den «Welttag der Grosseltern und älteren Menschen» doch zum Thema zu machen. Die Ausweitung des Fokus auf alle älteren Menschen hat mich überzeugt. Der 24. Juli allein wird zwar nichts verändern, aber er kann eine anregende Gedankenspritze sein.

Seit ich mich erinnern kann, klagen wir über die Leistungsgesellschaft. Und doch tobt der Wettbewerb so heftig wie nie zuvor. Selbst banale Erinnerungsfotos sind heute einem Wettbewerb ausgesetzt, werden kommerzialisiert und kapitalisiert.

Umso dringender braucht es deshalb einen Kulturwandel, in dem Produktion und Konsum nicht mehr als alleinige Motoren des Fortschritts vergöttert werden. Alte Menschen müssen diesen Kulturwandel zwangsläufig vollziehen. Wenn ihnen das gelingt, haben sie uns allen besonders viel zu bieten. Sie haben die Expertise in einer Lebenshaltung, in der Zufriedenheit und Zuversicht nicht mehr vom Leistungsprinzip abhängen.

Text: Thomas Binotto