Umgang mit unserem  «wunden Punkt»

Glaubens-Perspektiven

Umgang mit unserem «wunden Punkt»

«Die tiefsten Wunden sind Beziehungswunden», schreibt die Psychologin Bärbel Wardetzki.

Beziehungswunden sind Verletzungen, die Menschen erleben, wenn sie sich zurückgewiesen, abgelehnt, ausgeschlossen oder verachtet fühlen. Solche Kränkungen verletzen unser Selbstwertgefühl. Darauf reagieren manche Menschen mit Rückzug, andere mit Gegenangriff, andere wiederum mit Mischformen aus beiden. 

Es gibt Familien, in denen Kränkungen verharmlost werden. Hier wird nicht das Kind, das andere kränkt, korrigiert, sondern die Reaktion des Gekränkten: «Nun hab dich nicht so! Bist du eine Mimose, gleich beleidigt …» Es gibt auch Menschen, die «beleidigt» reagieren, wenn sie selbst nicht mehr im Mittelpunkt stehen. Manche Menschen wiederum haben den Eindruck, dass Aussagen und Reaktionen von anderen (fast) immer mit ihnen selbst zu tun haben. Sie beziehen Verhalten, Stimmungen und Emotionen anderer Menschen auf sich selbst und sind dadurch in Gefahr, sich häufig gekränkt zu fühlen – sie vergessen, dass sehr vieles, was andere Menschen tun, mit den anderen und nicht mit uns zu tun hat. Dann gibt es das Dramatisieren, das Ausblenden, das Umdrehen von Verursacher und Betroffenen … Kurz und gut: Menschen entwickeln bereits in der Kindheit Muster, mit Kränkungen umzugehen – doch diese können selbst zu «Kränkungsfallen» werden.

«Kränkungsfallen» werden getriggert durch frühere Erfahrungen. So ist nicht zufällig, dass besonders bei Kränkungen «alte Geschichten» wieder hochkommen, und dass wir manchmal vom «wunden Punkt» reden, wenn in der Gegenwart Verletzungen der Kindheit berührt werden. 

Was hilft? Liebe und Empathie, Wertschätzung und Achtsamkeit. Und: Stärkung des eigenen Selbstwertes. Manchmal ist das Ansprechen, das Sichtbar-machen solcher krankmachender Verhaltensweisen unverzichtbar –wenn nötig mit fachlicher Hilfe. In den meisten Fällen hilft es schon, wenn man sich immer wieder der eigenen Fähigkeiten und Gestaltungsmöglichkeiten bewusst wird – und der eigenen Unabhängigkeit. Ich kann mir selber sagen: «Die andere Person bekommt nicht die Macht, durch ihr Verhalten meine Gefühle und mein Verhalten und schon gar nicht meinen Selbstwert längerfristig zu bestimmen. Ich weiss, wer ich bin, ich stehe auf eigenen Beinen, mit meinen Fähigkeiten. Und: Ich verbinde mich mit Menschen, die mir guttun.» Auch ein gesunder Glaube ist hilfreich: «Ich bin mit meinem ganzen Sein von Gott geliebt. Er umhüllt mich mit all meinen Verletzungen. So fürchte ich mich nicht, diese anzusehen und mich davon zu lösen.»

Text: Helga Kohler-Spiegel