Streik dem Streit

Editorial

Streik dem Streit

Täglich werde ich darüber unterrichtet, wie Corona unsere Gesellschaft spaltet. In meinem Alltag kriege ich jedoch wenig von der Dramatik mit, die in den Schlagzeilen hochgefahren wird.

Meine Familie hat sich durch die Corona-Massnahmen nicht entzweit, keine Freundschaften sind zerbrochen, keine Zerwürfnisse am Arbeitsplatz. Und auch von den vielen Menschen, denen ich im öffentlichen Raum begegne, hat mich noch nie jemand bedroht.

Ich weiss: Meine Erfahrung nennt man anekdotische Evidenz oder auch heile Welt. Und es stimmt: Was ich erlebe, ist nicht das gesamte Bild. Es gibt Streit, Zerwürfnisse, Drohungen. Aber anekdotisch hin oder her: Muss wirklich aus jedem Streit auch noch eine Schlagzeile und eine Talkshow gemacht werden? 

Ich habe den starken Eindruck, dass die Spaltung weniger tief und breit ist, als sie medial beschworen wird. Sie wird vor allem durch zwei Faktoren tief und breit gemacht: Durch Extreme, die ins Rampenlicht drängen und durch Medien, die auf Extreme setzen. Beide versprechen sich davon dasselbe: möglichst viel Publikum.

Obwohl ich mich nicht in meine kleine Welt zurückziehen werde, habe ich aber auf meine Rolle im Publikum keine Lust mehr. Ich lasse mir von Streithähnen und ihren Promotoren nicht mehr jeden Streit vorführen. Mir steht der Sinn ganz dringend nach Gelassenheit: Könnt ihr den einen oder anderen Streit nicht endlich und einfach mal lassen?!

Ich mag mich nicht auf jede Äusserung stürzen, die mir nicht in den Kram passt. Ich will nicht in jeder Begegnung sofort den Streitpunkt suchen. Und ich reagiere nicht mehr auf den Zuruf: «Schau mal, wir streiten uns!» – Glaubenskriege können auch dadurch verhindert werden, dass man ihnen die Arena entzieht, in der sich Streitlustige mit ihrer Rechthaberei aufplustern.

Leserbrief

Seit Langem erleben wir das Unglück der Covid-Pandemie. Dieses ist gross genug, um viele aus der Bahn zu werfen. Die Zweigeteiltheit in der Schweiz ist ein äusseres Zeichen dafür.

Ich meine, sowohl der Bundesrat wie die Kirche haben zu wenig getan. Der Bundespräsident müsste dazu aufrufen, die Bevölkerung spirituell zu stützen und zu nähren. Der Präsident der Bischofskonferenz sollte die Kirchenleute an der Basis bitten, ihre Gläubigen geistig zu unterstützen vom Religiösen her. Ausser der unnötig häufigen Pressesendungen aus Bern, welche vornehmlich negativ aufscheuchen, gibt’s nichts Tröstliches für die verunsicherten Menschen – weder in den Medien noch in der Pastoral; das finde ich einen Skandal.

Esther Wolf

Text: Thomas Binotto