Hart getroffen

Bericht aus Jerusalem

Hart getroffen

«Maske erforderlich» steht in dicken roten Lettern auf der Hinweistafel vor der Geburtskirche. Besucher, welche die Mahnung lesen könnten, sind weit und breit nicht zu sehen. 

Leere dominiert den Krippenplatz. Die Geschäfte sind mehrheitlich geschlossen, die Geburtskirche und -grotte – Traum eines jeden Pilgers: in Stille getaucht, ohne Menschenmassen und endlose Wartezeiten zugänglich.
Seit Monaten schon ist Bethlehem verwaist. Geschlossene Grenzen, Ausnahmezustand, zeitweise Ausgangssperren: Der unsichtbare Feind Covid-19 hat einen der wichtigsten Wirtschaftssektoren und die Brücke der Palästinenser in die Welt zum Erliegen gebracht.
«Von hundert auf null über Nacht», beschreibt der Vorsitzende der Vereinigung der Anbieter für Ausländertourismus (Holy Land Incoming Tour Operators Association, HLITOA), Toni Kaschram, in einem Interview das Desaster, das den palästinensischen Tourismus unvorbereitet traf.

Dem Tourismus ging es 2019 gut: Knapp 900 000 Besucher kamen nach offiziellen Zahlen, 2,7 Millionen Übernachtungen in palästinensischen Hotels wurden gebucht, ein Zuwachs von 31 Prozent und ein Anreiz für viele, in neue Initiativen zu investieren.
«Wir haben die Menschen ermutigt, neue Gastfreundschaftsstätten zu eröffnen, das Erlebnis von Besuchern zu verbessern, neue Dinge wie Wanderwege, Radwanderwege oder Austauschprogramme zu entwickeln», sagt Michel Awad, Vorstandsmitglied des HLITOA.
Damit habe man viele Menschen zu 100 Prozent vom Tourismus abhängig gemacht, und in einer Krise wie Covid-19 extrem verletzlich. Seit März haben 35 000 direkt im Tourismus beschäftigte Palästinenserinnen und Palästinenser kein Einkommen mehr, die Zahl der indirekt Betroffenen liegt wesentlich höher.

Anders als in Europa kennt das palästinensische System kein Arbeitslosengeld und keine Sozialversicherung, anders als die israelischen Nachbarn erhalten die Palästinenser kaum staatliche Unterstützung in der Krise.

Dagegen gehen sie neuerdings auch auf die Strasse. Behutsam, und bewusst unter der grün-weiss-schwarz-roten Flagge, denn Demonstrationen gegen die palästinensischen Behörden werden allzu schnell als Verrat an der palästinensischen Sache gewertet, sagt Michel Awad.
«Ohne Tourismus kein Leben», lautet der Hilferuf der Union der Reiseführer in Palästina. Knapp 30 der 800 in der Berufsvertretung vereinten Touristenführer haben trotz Lockdown und Ausnahmezustand den Weg vor die Geburtskirche geschafft.
Leider fehlten dem Staat die Mittel, den arbeitslosen Guides zu helfen, beklagt der ebenfalls angereiste Sprecher der Tourismusministeriums Jiries Kumsijeh. Zu sehr stünden die Behörden wegen der durch die ausgesetzte Kooperation mit Israel ausbleibenden Steuer- und Zollgelder unter Druck.

Sicher ist man sich in Palästina nur in einem Punkt: dass keiner wisse, wie und wann die Pilger wiederkommen werden. Gerade diese Ungewissheit macht es den Menschen schwer. Durch alle Krisen, sagt Michel Awad, haben sich die Palästinenser die Hoffnung bewahrt. Jetzt drohe auch sie verloren zu gehen.

Text: Andrea Krogmann